Philosophie des 20. Jahrhunderts - von Husserl bis Derrida by Thomas Rentsch
Autor:Thomas Rentsch [Rentsch, Thomas]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
ISBN: 9783406661433
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
8. Die sprachkritische Wende â Wittgenstein und der linguistic turn
Bei Gottlob Frege (1848â1925) findet sich bereits eine bahnbrechende Erneuerung der logischen Analyse der Sprache. In seinen Aufsätzen Ãber Sinn und Bedeutung sowie Der Gedanke zeigt er, wie die Analyse der logischen Form der Sprache die Konstitution von Bedeutung und die Bedingungen von Geltungen und Wahrheitsansprüchen aufzuklären vermag. Solche Analysen leisten auch Russell und Whitehead in ihren Principia Mathematica (1910â1913).
In diesem Kontext entwickelt sich der logische Positivismus des Wiener Kreises, der sich um Moritz Schlick (1882â1936) bildet und der zu Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus (1921) und Rudolf Carnaps (1891â1970) Der logische Aufbau der Welt (1928) führt. Der Grundgedanke des Wiener Kreises besteht im wissenschaftlichen Verifikationsprinzip: Die Bedeutung eines Satzes besteht wesentlich in der Methode seiner empirischen Ãberprüfung, d.h. in den konkreten Erfahrungen, durch die er bestätigt wird. Mit dieser sprachkritischen Weichenstellung werden viele traditionelle philosophische Fragestellungen insbesondere der Metaphysik eliminiert. An die Stelle der Metaphysik tritt die logische Analyse der Sprache, da wir über keine empirischen Kriterien hinsichtlich der Existenz Gottes, der menschlichen Freiheit oder der Unsterblichkeit der Seele verfügen. Die logische Analyse zerlegt alle Sätze solange, bis ganz einfache Aussagen übrigbleiben, die elementare Erfahrungen wiedergeben â die sogenannten Protokollsätze. Der Wiener Kreis konzipiert daher eine Einheitswissenschaft, die â wie Otto Neurath (1882â1945) betont â paradigmatisch in der Physik realisiert ist. Wissenschaftstheoretisch wird ein Physikalismus vertreten. Auch auf die Psychologie wird das Verifikationsprinzip angewandt: Es folgt (im Anschluss an die amerikanischen Forschungen von J. B. Watson) der Behaviorismus. Psychologie als Wissenschaft kann sich allein auf beobachtbares Verhalten und die Reaktionen von Individuen in bestimmten Situationen beziehen. Die spezifischen Probleme der Philosophie bestehen in der logischen Analyse der Wissenschaftssprache und der genauen Konstruktion der logischen Syntax, ihrer Einheitssprache, so behauptet Carnap schlieÃlich in Logische Syntax der Sprache (1934). Durch Emigration wichtiger Mitglieder des Wiener Kreises in die angloamerikanische Welt in den 1930er Jahren wurde der sprachkritische logische Positivismus und Empirismus dort zu einer sehr starken Strömung.
Ludwig Wittgenstein (1889â1951) stammte aus einer sehr wohlhabenden Wiener Familie, studierte Ingenieurwissenschaften in Berlin und Manchester und begann, sich mit Grundfragen der Mathematik und Logik zu befassen. Er nahm Kontakt mit Frege auf und studierte seit 1911 in Cambridge bei Russell Logik und Philosophie. Wittgenstein wurde Freiwilliger im Ersten Weltkrieg. Aus dieser Zeit stammen umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen, in denen er seine Arbeit am ersten Hauptwerk, dem Tractatus logico philosophicus, beginnt. Nach dem Krieg ändert er sein Leben, verschenkt sein Vermögen und wird Volksschullehrer, später Architekt. Der Tractatus erscheint, Wittgenstein diskutiert mit den Philosophen des Wiener Kreises, er promoviert mit dem Werk in Cambridge und beginnt dort seine philosophische Lehrtätigkeit. Seit 1936 arbeitet er in Norwegen zurückgezogen an seinen Aufzeichnungen und wird 1939 als Nachfolger G. E. Moores nach Cambridge berufen. Im Zweiten Weltkrieg hilft er freiwillig in Krankenhäusern und lehrt nach dem Krieg noch bis 1947. SchlieÃlich zieht er sich nach Irland zurück, wo er bis zu seinem Tod an seinem Werk arbeitet.
Wittgenstein war befreundet mit Bertrand Russell (1872â1970), der gemeinsam mit Alfred North Whitehead (1861â1947) im Hauptwerk Principia Mathematica (1910â1913) einen logischen Atomismus ausgearbeitet hatte.
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